16 Entwicklung im 20. Jahrhundert

Zum Übergang ins 20. Jahrhundert war das Fabrikdorf Uster bereits eine veritable Stadt. Nicht was die Einwohnerzahl von rund 8000 Menschen betraf, aber sehr wohl an Institutionen, die eine Stadt ausmachen, den sogenannten stadtbestimmenden Faktoren.

Uster-Oetwil-Bahn
Uster-Oetwil-Bahn 1920
(Quelle: Fotosammlung Stadtarchiv & Kläui Bibliothek Uster)

Was macht eine Stadt zur Stadt?
Uster war seit 1830 endgültig Bezirkshauptort, hatte also zentralörtliche Funktionen auszuüben und verfügte dafür über die entsprechenden Räumlichkeiten samt Gefängnis: Zu Beginn am Schulweg 2, im «alten Gericht», ab 1845 auf der umgebauten Burg und ab 1917 an der Gerichtsstrasse in einem Neubau, in dem die Behörde noch heute residiert. Um 1900 verfügte Uster darüber hinaus über eine diversifizierte Industrie, eine ausgebaute medizinische Infrastruktur mitsamt eigenem Spital, eine moderne Energieversorgung mit Strom und Gas sowie dank Eisen- und Strassenbahn über aktuellste Verkehrsinfrastrukturen. Die Trinkwasserversorgung und die Badeanstalt «Dorf» darf hier nicht vergessen werden. Mit der Telefonie war auch das modernste Kommunikationsmittel in Uster angekommen. 

 

Die «verbotene Stadt» entsteht
Der Tüftler und Elektrotechniker Alfred Zellweger (1855-1916), der Usters Industrie ins 20. Jahrhundert überführte, hat die Telefonie 1897 in Uster vorgestellt. Zellweger eröffnete bereits in den 1870er Jahren eine kleine Werkstatt an der Florastrasse. 1882 übernahm er das Gebäude der ehemaligen Süsswarenmanufaktur Hiestand an der Neuwiesenstrasse 10 und errichtete darin seine Fabrik für elektrische Apparate. Kurz vor seinem Tod 1926 zügelte er sein Unternehmen nach Niederuster in die ehemalige zweite Baumwollspinnerei von Heinrich Kunz, die jener gut 100 Jahre zuvor errichtet hatte. Mit der Zellweger AG wuchs in den folgenden Jahren der grösste Arbeitgeber Usters heran, der seinen Betrieb insbesondere nach 1945 weiter ausbaute und eine «verbotene Stadt» hinterliess, die nur die Arbeitnehmer betreten durften. In den 1990er Jahren erst wurde das Verbot aufgehoben und die Bevölkerung konnte die parkähnlichen Anlagen erkunden. Inzwischen ist daraus der Zellwegerpark geworden, der grösste der drei Ustermer Parkanlagen entlang des Aabachs. Ein öffentlicher Park der modernes Wohnen und Arbeiten mit alter Industriearchitektur verbindet. Ausserdem ist der Park unter Kennern zu einer festen Adresse für moderne Kunst geworden.

Landistil
In der Zwischenkriegszeit entstanden entlang der Zürichstrasse bis dato die grössten Flächenüberbauungen. Vor allem das Zeughaus 1937, die Püntschule (1945 begonnen und erst 1950 eingeweiht), als auch die Landi- und die Reithalle die 1941 eröffnet wurde. Alle Bauten wurden im damaligen Landistil errichtet, einem Baustil, der die Rückbesinnung auf die alten gesellschaftlichen Werte repräsentierte und gleichzeitig die Abkehr vom Monumentalbau der Faschisten darstellte. Ausgehend von der Landesausstellung (Landi) in Zürich 1939, ist dieser schweizerische Baustil Ausdruck einer konservativen, heimatbezogenen Gesinnung, die in der geistigen Landesverteidigung aufging und noch weit in die Nachkriegszeit fortwirkte, siehe die Püntschule, die sich noch stark an den Landistil anlehnte. Die Landihalle, ein zeitgenössischer Nachbau eines Originals von der Landesausstellung Zürich, wurde an der Zürichstrasse errichtet und 1940 eingeweiht. In ihr wurden während dem Krieg Armeepferde untergebracht. Die rechtwinklig zu ihr gestellte Reithalle diente damals dem Training der Pferde und ihrer Reiter. Heute, steht sie genau wie die Landihalle auch, als Stadthalle für verschiedenste Events bereit. Das Oktoberfest Züri Oberland z.B. findet hier in der Landihalle jährlich nach Abschluss der Feierlichkeiten auf der Münchner Wiesn in den ersten zwei Oktoberwochen statt und sorgt für grossen touristischen Andrang.

Einfamilienhausquartiere und Konjunktur
Nicht zu vergessen ist der private Bau von Einfamilienhäusschen, der ebenfalls ab 1940 viele Grünflächen, vor allem Obstbaumwiesen im Nordosten hinter der Bahnlinie zum verschwinden brachte (z.B. Karlstrasse und Alpenblickstrasse). Die meisten der Häuschen tragen die Handschrift des Baumeisterbüro Fanti aus Uster. Diese Hausquartiere mit ihren kleinen grünen Grundstücken erinnern an die Lenzlinger Siedlung in Niederuster. In der Tat nehmen auch sie einzelne Aspekte der sog. Gartenstadt auf, z.B. einen gewissen Grad an Selbstversorgung durch einen eigenen Garten und ländliche Umgebung als Kontrast zur Fabrikarbeit. Heute sind es einfach idyllische Gartensiedlungen rechts und links der Brunnenstrasse.

Nach dem Krieg begann ab 1946 die Konjunktur zu wirken. Bis 1970 erlebt Uster sein bisher grösstes Flächenwachstum. Dies geschieht wegen der starken Bevölkerungszunahme. Zwischen 1941 und 1970 verdoppelt sie sich nahezu von 10’500 auf 22’000 Einwohner. Allein in den zehn Jahren von 1950 bis 1960 stieg die Einwohnerzahl um 9500 Menschen! Wie kommt das? Zürich entwickelte sich nach dem zweiten Weltkrieg zum wirtschaftlichen und fiskalischen Motor der Schweiz und zog in grossem Masse Arbeitskräfte an. Die Dörfer in Zürichs Einflussbereich verstädtern zusehends und auch in Uster muss mit genossenschaftlichem Wohnungsbau der steigenden Bevölkerung begegnet werden. Die ersten Wohnblöcke entstehen ab 1955 entlang der Ackerstrasse, Tulpen- und Brandgrubenstrasse. Dann nimmt man die ausgedehnte Grünfläche des Stauberbergs entlang der Burgstrasse nach Nossikon in Angriff. Diese Mehrfamilienhäuser werden zwischen 1959 und 1967 mehrheitlich errichtet. Nur der Weinberg blieb zum Glück unangetastet.

Das Mandat der Strasse und das wandernde Ortszentrum
In den Jahren der Konjunktur veränderte sich Uster fundamental. Der Hauptgrund war der Autoverkehr, dem man alles unterordnete. Ihm wurde Usters alter Dorfkern zwischen 1963 und 1968 geopfert (heute Nüsslikreisel). Die Fussgänger wurden auf schmale Asphaltbahnen beidseits der verbreiterten Strassen zurückgedrängt. Die Strasse als Aufenthalts- und Spielraum für die Menschen hatte ausgedient. Das zerstörte Ortszentrum fand sich ab 1958 neu entlang der Postrasse von Zürichstrasse bis zum Bahnhof wieder. Damals wurde die Stadthofüberbauung mit vollkommen neuen Einkaufsmöglichkeiten errichtet, mitsamt Stadthofsaal und Stadttheater, die das kulturelle Angebot stark ausbauten. Das auffallende Wohnhaus war das erste Hochaus von Uster. In den frühen 1970er Jahren verlagerte sich das Stadtzentrum nun abermals. Das Uschter77 und das Illuster, zwei aus Amerika beeinflusste Einkaufs-Malls öffneten ihre Tore und richteten ihre Schaufronten klar zur Zürichstrasse aus. Die beiden Einkaufszentren verband auf der anderen Strassenseite die Einkaufspassage des Stadthofs. Uster hatte eine Einkaufsmeile erhalten, die vom alten Dorfkern bis fast zu den Zeughäusern reichte. Anfang der 90er Jahre endet der Primat des Autos zunehmend. Die Zürichstrasse wurde um zwei Spuren verjüngt und begrünt, der Verkehrsfluss durch Kreisel deutlich erhöht. Darauf aufbauend forciert die städtische Politik heute die Entwicklung eines für Fussgänger optimierten Zentrums im Kern, entlang der Post- und vor allem der Gerichtsstrasse, die 2035 im geplanten neuen kulturellen Ballungsraum im Zeughausareal enden soll. Ausserdem wird dem Fahrrad immer mehr Raum gegeben.

Hochhauszeit
Dass mit Beginn der 60er Jahre eine neue Zeit begonnen hatte, demonstrierte auch der Neubau des Gemeindehauses, dem heutigen Stadthaus (Uster wurde im Mai 1970 zur Stadt erklärt). Das von Bruno Giacometti geplante Bürogebäude wurde 1962 vollendet und sollte der Anfangspunkt eines neuen Stadtzentrums werden. Seine Architektur ist deutlich moderner als die des gerade mal vier Jahre älteren Stadthofs. Giacometti liess einen hohen Quader klar getrennt über einem zweistöckigen Sockel förmlich schweben. Diese beiden ersten Hochbauten beeinflussten die Architektur in Uster überaus deutlich. Die nächsten waren die beiden Einkaufszentren, beide mit aufgesetzten Wohnkuben, wobei das Bürohaus an der Zürichstrasse1 am klarsten Bezug zum Stadthaus nimmt. Heute ist Usters Stadtbild klar von Hochhäusern geprägt. Steigt man aufs sog. Känzeli, dem bekannten Aussichtsplatz, muss man Kirche und Burg zwar nicht suchen, aber der Anblick der vielen Hochhäuser ist beeindruckend. Mit den beiden Zwillingstürmen am Stadtpark kam nochmals eine neue Höhenkategorie hinzu. Dabei soll es bleiben. Aber auch die geplanten Bauten an der Berchtoldstrasse scheinen vereinzelt Höhen zu erreichen, die den Wohntürmen im Kern Süd in nichts nachstünden.

 

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